metabolismus im anthropozän

 

 

Konstantin Karón
Komplexe urbane Systeme rekategorisieren
Metabolismus im Anthropozän ( D R A F T )

 

Die Menschen und die Dinge bilden einen metabolischen Raum. Aber teilen sie sich darin auch einen symbolischen Raum? Sprechen sie dieselbe Sprache? Der Artikel führt den Begriff der Agency in den Diskurs um den urbanen Metabolismus ein und skizziert Erkenntnisse, die sich daraus gewinnen lassen.

Die Geschichte urbaner Metabolismusbilder ist vielfältig. Sie reicht von der symbiotischen Stadt-Land-Beziehung der vorindustriellen Zeit zur organischen Metaphorik (vor-)modernen Städtebaus[1]; über die Architekturutopien der japanischen Metabolisten[2] zu systemtheoretisch und ingenieurtechnisch informierten Ökosystemansätzen ab den 60er Jahren[3] und schließlich zu heutigen digitalen Analysemethoden und Bildgebungsverfahren[4]. Neben diesen eher deskriptiv-gestalterischen Ansätzen gibt es epistemologische Untersuchungen zu den Narrativen des Metabolismus. Sie sind kritischer Art und stellen die sozio-politische Konstruktion der Diskurse sowie ihre Abhängigkeit von Deutungshoheiten und Kapitalkreisläufen in den Mittelpunkt[5]. Die ökologischen und ökonomischen Krisen unserer Zeit bilden eine Kulisse, die ganzheitliche Betrachtungsweisen erfordert. Mit dem Eintritt in die Zeit der „planetarischen Urbanisierung“ wird zudem klar, dass wir die städtische Zukunft systemisch denken müssen. Gleichzeitig sind Technologie und Wissensstand so weit fortgeschritten, dass wichtige Mittel vorhanden sind, um die begleitenden Prozesse (Klimawandel, Ressourcenknappheit, ungleiche Entwicklung etc.) zu observieren und zu steuern.

 

Das Städtische zeigt sich dabei als ein System unter anderen (Wirtschaft, Nationalstaatlichkeit, Religion, Sexualität etc.), während die Kategorie Stadt gar problematisch wird, da sie einen Rahmen setzt, der die benannten Prozesse kaum zu fassen weiß. Dagegen kann man den urbanen Metabolismus als die Interaktionen zwischen physiologischen und sozio-ökonomischen Teilsystemen der Verstädterung verstehen. Aus dieser Perspektive lassen sich Energie-, Material- und Informationskonfigurationen durchleuchten. In den existierenden Untersuchungen zur Stadt als System finden sich jedoch Auslassungen: Es gibt zwar intensive und aufschlussreiche qualitative Forschungen (mit Analysen, Darstellungen und Modellierungen) zu metabolischen Prozessen, diese sind allerdings oft blind für sozio-ökonomische Belange. Es fällt nicht leicht, empirische Studien zu sozialen, politischen und wirtschaftlichen Implikationen neoliberaler Stadtentwicklung zu finden. Transdisziplinäre Wissenschaftsteams müssten hier zeitgemäße Lesbarkeiten produzieren. Als Problem stellt sich dabei jedoch ein Wahrnehmungswiderspruch: Die Zusammengehörigkeit von den als starr empfundenen gebauten urbanen Strukturen und den fluiden Energie-, Stoff- und Informationsströmen ist schwer vermittelbar. Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen vorhandener Visualisierung von Austauschprozessen und fehlender Darstellung ihrer Wirkmacht auf konkrete geografische Strukturen.[6] Auch hier besteht Forschungsbedarf.

 

Wie genau bestimmt das Globale das Lokale? Diese Frage fordert neue Repräsentationsformen, die sich Sekundäreffekten widmen und neben den großmaßstäblichen Ursachen auch die kleinmaßstäblichen Wirkungen nachvollziehbar machen. An dieser Stelle wird häufig auf die Potentiale des Designs, der Architektur, der Planung oder der Politik verwiesen. Was einer systemischen Erforschung städtischer Entwicklung aber fehlt, ist die Frage nach den Möglichkeiten der (menschlichen oder nicht-menschlichen) Akteure[7], die das eigentliche Subjekt und Material dieser Transformationsprozesse bilden. Die bereits identifizierten Ansätze (erneuerbare Energien, dezentrale Infrastrukturen, reduzierter Fleischkonsum, intelligente Verkehrskonzepte etc.) zum Umgang mit den oben benannten Szenarien treffen sich alle in der Verknüpfung mit diesen Akteuren. Wie lassen sich diese Assoziationen aber explizieren und verhandelbar machen?

 

Zur Beantwortung solcher Fragen möchte der Artikel einen Beitrag leisten. Er unterbreitet einen Vorschlag für eine urbane Systemforschung, deren Ausgangspunkt der lokale Akteur mit Wirkmacht ist[8]. Der Text präzisiert den Begriff Agency[9] für diesen Kontext und erläutert, welche Vorteile sich aus seiner Offenheit und spezifischen Bedeutung ergeben. Ein Kernpunkt dabei ist seine Anwendbarkeit auf verschiedene Sphären und Entitäten sowie das Potential, mit ihm deren Grenzen zu perforieren. Zudem stellt der Artikel Möglichkeiten vor, um zwischen verschiedenen Disziplinen und unterschiedlichen Skalen[10] zu wechseln. Denn in einem theoretischen Modell gibt es Funktionen. In der Realität hingegen gibt es Wirkungen. Mit diesem Credo werden metabolische Prozesse am Beispiel Berlin analysiert und beschrieben. Als wirkmächtige Akteure werden die Angebote von Airbnb (Unterkünfte) und Uber (Mitfahrten) sowie eine nicht funktionierende Brandschutzanlage (am Flughafen BER) besprochen. Der Artikel fragt, welche Anforderungen eigentlich an derartige Systeme gestellt werden, ob sie in der Lage sind, diese zu erfüllen und wie sie selbst dazu Auskunft geben. Hinter Mobilitätsangeboten, Wohnideen und Sicherheitstechniken stehen immer auch sozio-ökonomische Konzepte. Der Artikel macht einige von ihnen sichtbar.

 

Fußnoten:

[1] Bspw. bei O.M. Ungers (2011): Morphologie. City Metaphors.

[2] Vgl. Rem Koolhaas / Hans Ulrich Obrist (2011): Project Japan. Metabolism Talks… .

[3] Michael Prytula (2010): Der Urbane Metabolismus. Ganzheitliche Betrachtungen zum Ressourcenhaushalt Urbaner Systeme, in: ARCH+ Nr. 196/197, 2010: Post Oil City. Die Stadt nach dem Öl. Die Geschichte der Zukunft der Stadt.

[4] Siehe bspw. Francis Aish / Adam Davis / Martha Tsigkari (2013): Ex Silico Ad Vivo. Computational Simulation and Urban Design at Foster + Partners, in: AD Profile No 224, 2013: System City. Infrastructure and the Space of Flows.

[5] Vgl. bspw. Erik Swyngedouw (2006): Metabolic Urbanization. The Making of Cyborg Cities, in: Nik Heynen / Maria Kaika / Erik Swyngedouw (Eds.) (2006): In the Nature of Cities. Urban political ecology and the politics of urban metabolism.

[6] Vgl. Daniel Ibañez / Nikos Katsikis (2014): Grounding Metabolism, in: New Geographies 06, 2014: Grounding Metabolism.

[7] Statt des Begriffes Akteur verwendet z.B. Bruno Latour auch den Begriff Aktant, um deutlich zu machen, dass auch Dinge, Verträge, Ideen, Institutionen usw. Wirkmacht besitzen.

[8] Vgl. hierzu auch Graham Livesey (2010): Agency, assemblages and ecologies of the contemporary city, in: Florian Kossak / Doina Petrescu / Tatjana Schneider / Renata Tyszczuk / Stephen Walker (2010): Agency: Working with uncertain Architectures.

[9] Zu den Möglichkeiten bei der Übersetzung und Verwendung des Begriffes siehe: Gustav Roßler (2007): “Nachwort des Übersetzers“ [zum Begriff der agency], in: Andrew Pickering, Kybernetik und Neue Ontologien.

[10] Das „jumping scales“ kann aber auch eine problematische Bewegung sein. Eine Lösung, die z.B. auf lokaler Ebene funktioniert muss nicht auch auf der globalen anwendbar sein. Manche Sachverhalte lassen sich nicht nach unten abstufen oder nach oben aggregieren, vgl. David Harvey (2012): Rebel Cities. From the Right to the City to the Urban Revolution, S. 69.